Berühmte behinderte Frauen

Harriet Tubman (1821- 1913)

 

von Anneliese Mayer

 

„Go down Moses
‘ way down in Egypt’s land
Tell ol‘ Pharaoh,
Let my people go!“

 

Harriet Tubman 1895.jpg

Viele von uns kennen diesen Gospel mit seiner einprägsamen Melodie – die wenigsten kennen jedoch die Geschichte dieses Liedes. Wie viele andere Gospels ist auch „Go down Moses“ ein spiritueller Song, der während der Zeit der Sklavenbefreiung in den USA entstanden ist und als verschlüsselter Text für die Eingeweihten große Bedeutung hatte. In Anlehnung an die biblische Gestalt Moses, der sein Volk, die Israeliten, aus der Sklaverei in Ägypten befreite, wird hier auf eine Person hingewiesen, die den Mut und die Tatkraft besaß, zahlreiche afro amerikanische Sklavinnen und Sklaven in die Freiheit zu führen. Hinter „Moses“ verbirgt sich eine Frau. Ihr Name hat in die Geschichtsschreibung der USA Eingang gefunden: Harriet Tubman, die bereits zu Lebzeiten den Beinamen „The Moses of Her People“1 erhielt.

 

Das genaue Geburtsdatum von Harriet Tubman ist nicht bekannt. Allgemein wird angenommen, dass sie 1820 oder 1821 in Dorchester County im Bundesstaat Maryland auf die Welt kam: Als Kind trug sie den Namen Araminta Ross; wurde jedoch bald mit dem Vornamen ihrer Mutter gerufen. Ihre Eltern Benjamin Ross und Harriet Greene hatten zehn weitere Kinder. Sie waren die Sklaven eines Holzhändlers. 

 

Bereits mit sechs Jahren musste Harriet ihre Eltern verlassen und bei einer Weberin arbeiten. Deren Mann benötigte sie zudem zum Aufstellen von Fallen. Egal wie ihre körperliche Verfassung war, sie musste arbeiten – ansonsten wurde sie ausgepeitscht. Und die Arbeit wurde zunehmend härter: „... in Maryland lernte sie durch Arbeit, daß ihre Leistungsfähigkeit der jeden Mannes gleich war. Ihr Vater lehrte sie, Holz zu fällen und Stämme zu Spalten.“2

 

In ihrer frühen Jugend kam es zu einem Ereignis, das nachhaltig ihr weiteres Leben beeinflußte – es hatte sowohl körperliche als auch psychische Auswirkungen: Ein Sklave, mit dem sie zusammen auf den Feldern arbeitete, hatte sich unerlaubt entfernt. Sie wurde von dem Aufseher aufgefordert, sich bei der Suche zu beteiligen. Er wurde in einem Laden aufgestöbert. Der Aufseher wollte ihn auspeitschen und forderte Harriet auf, den Entflohenen festzuhalten. Diese weigerte sich. Der Sklave rannte davon. Harriet wollte ihn von einem erneuten Fluchtversuch abhalten und lief hinter ihm her. Sie kam nur ein paar Meter bis zur Tür, als sie von einem zwei Pfund schweren Eisengewicht getroffen wurde, dass der Aufseher geworfen hatte, mit der Absicht, den flüchtigen Sklaven zu treffen. Harriet lag lange Zeit im Koma. Als sie wieder zu sich kam, musste sie mit der Zeit feststellen, dass sie unvorhersehbar in einen (kurzen) schlafähnlichen Zustand fallen konnte. Ihre Beeinträchtigung wird heute als Narkolepsie bezeichnet.3

 

1844 heiratete Harriet den freien schwarzen Mann John Tubman. Diese Verbindung bedeutete keineswegs, dass sie selbst der Sklaverei entkam. Im Gegenteil, sie musste fünf Jahre später befürchten, an einen neuen Besitzer verkauft zu werden, nachdem der bisherige gestorben war. Um diesem gnadenlosen Schicksal zu entgehen, beschloß sie zu fliehen. Auf dem Weg in den Norden wurde sie am Anfang noch von einem ihrer Brüder begleitet. Nachdem sie sich größtenteils alleine durchgeschlagen hatte, erreichte sie Philadelphia. Dort fand sie Arbeit und konnte ihr eigenes Geld verdienen.

 

Schon während ihrer Flucht hatte Harriet Tubman die Underground Railroad kennengelernt. Diese Organisation unterhielt ein ausgeklügeltes Netz von Zufluchtsorten und Kontaktpersonen, die den versklavten Männern und Frauen aus den Südstaaten den „Zug“ in den Norden ermöglichte, wo es keine Leibeigenschaft gab. Sie wurde die bekannteste Fluchthelferin. Dabei zeigte sie eine unglaubliche Durchsetzungskraft und war unnachgiebig gegenüber den Schwächeren oder der Zaghaftigkeit ihrer „Passagiere“.

 

Innerhalb von zehn Jahren gelang es ihr, 300 Menschen - darunter ihre Eltern und Geschwister - in die Freiheit zu bringen.

 

Nachdem 1851 auch die Nordstaaten ein Gesetz, das Fugitive Sklave Law, anwendeten und die Entflohenen wieder auslieferten, führte sie die Flüchtigen weiter nach Kanada. Für die Sklavenhalter war sie längst ein Dorn im Auge – sie setzten für ihre Ergreifung ein Kopfgeld von 40.000 $ aus.

 

Während des amerikanischen Bürgerkriegs stellte Harriet Tubman ihre Dienste der Armee der Nordstaaten zur Verfügung. Sie arbeitete als Köchin und Krankenschwester. Aufgrund ihrer hervorragenden Ortskenntnisse und ihres hohen Bekanntheitsgrades war sie häufig als Spionin und Verbindungsfrau zu den schwarzen Menschen tätig.

 

Ihr Mann John hatte sich bereits zwei Jahre nach ihrer Flucht von Harriet losgesagt und eine andere Frau geheiratet. 1869 heiratete sie den um 20 Jahre jüngeren Nelson Davis, der Soldat in der Armee der Konföderierten gewesen war, und dem es gesundheitlich nicht gut ging. Sie zog mit ihm in ihr Haus in Auburn, New York, und pflegte ihn bis zu seinem Tod 1888.

 

Harriet setzte sich verstärkt für das Wahlrecht der schwarzen Bevölkerung ein. Sie kämpfte für deren Recht auf Schulbildung – die sie selbst nie bekommen hatte. Mit Frauen wie Susan Brownell Anthony und Sojourner Truth, die sich beide radikal für das Frauen-wahlrecht und die Rechte der schwarzen Menschen einsetzten, stand sie in engem Kontakt.

 

Im Alter von 75 Jahren richtete sie in ihrem Haus ein Altersheim ein, das Harriet Tubman Home for Indigent Aged Negroes. Über 30 Jahre hatte sie dafür gekämpft, damit die Regierung nachträglich eine Entschädigung für die Kriegsdienste der Afroamerikaner zahlt. Es wurde ihr eine Pension zugesprochen, die sie an bedürftige schwarze Menschen weitergab.

 

Harriet Tubman starb am 10. März 1913 in ihrem Haus an Lungenentzündung.

 

Anneliese Mayer


 

Anmerkungen:

1)  Ihre zweite Autobiografie „Harriet Tubman - The Moses of Her People“, die sie mit Hilfe von Sarah Bradford schrieb, wurde 1886 veröffentlicht. Bereits 1869 erschien „Scenes in the life of Harriet Tubman“, mit deren Verkaufserlös sie ihre politische Arbeit finanzieren konnte.

2) Angela Davis: Rassismus und Sexismus, S. 25

3) Leider konnte ich in den mir zur Verfügung stehenden amerikanischen und deutschen Texten keinen Hinweis auf die eventuellen Einschränkungen oder Schwierigkeiten finden, die ihre Behinderung verursachten, während sie sich in gefährlichen Situationen befand. Oder auch wie ihre Umgebung darauf reagierte, wenn sie ohne Vorankündigung einschlief.

 

Quellen:

Angela Davis: Rassismus und Sexismus. Schwarze Frauen und Klassenkampf in den USA, Berlin 1982, S. 25ff

Susanne Gretter/ Luise F. Pusch (Hg.): Berühmte Frauen. 300 Porträts, Frankfurt am Main 1999, S. 288

www.graceproducts.com/tubman/life.html:„In Search of the Heroes“: The Quest for Freedom – Harriet Tubman

Christa Markon: „Fight, and if you can‘t fight, kick!“ Durchbrochene Rollenbilder von und durch Sklavinnen. In: Frauensolidarität. Schwerpunkt Sklaverei. Heft 3/2004, S. 11

 

 


 

aus WeiberZeit Nr. 8/August 2005 I www.weibernetz.de/weiberzeit.html
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