Berühmte behinderte Frauen

Margaret Bourke-White (1904-1971)

Berühmte Frauen mit Parkinson (Teil 2)

 

von Anneliese Mayer

 

Während meines Studiums hing über meinem Bett ein großes Schwarz-Weiß-Poster. Es zeigte eine junge Frau mit flach anliegender dunkler Kopfbedeckung unter der eine Bubikopffrisur hervorguckte. Die Frau sitzt auf einer freien Plattform hoch über einer amerikanischen Großstadt, deren Gebäude und Hochhäuser im Hintergrund zu sehen sind. Die Plattform ist anscheinend nur durch drei Metallstreben gesichert. Auf dem Schoß hält die dunkel gekleidete Frau einen altmodischen Fotoapparat. Das Gesicht strahlt Gelassenheit und Zuversicht, aber auch Wagemut aus. Vor 25 Jahren wusste ich noch sehr wenig über diese Frau, außer dass sie eine berühmte amerikanische Fotografin war namens Margaret Bourke-White. Der Hintergrund ihres Lebens erschloss sich mir erst allmählich: 

 

Margaret Bourke-White wird am 14. Juni 1904 in New York, in der Bronx, geboren. Gemeinsam mit ihren zwei Geschwistern verbringt sie eine unbeschwerte Kindheit in einer kleinen Stadt in New Jersey. Sie liebt es, Tiere in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien zu beobachten. So sammelt sie Raupen und Kaulquappen. Reptilien - und hier hauptsächlich Schlangen - gilt ihre besondere Leidenschaft.

 

Ihre Eltern, Minnie Bourke, die von irisch-englischen Einwanderern abstammt, und John White, dessen Vorfahren polnische Juden sind, unterstützen die Begeisterung ihrer lebhaften Tochter für die Naturwissenschaften. Der Vater ist Maschinenbauingenieur von Beruf und ein begeisterter Erfinder von neuen Druckmaschinen. „Vater hatte dabei sogar an jene gedacht, die ohne Licht leben mussten. Er konstruierte die erste Druckmaschine für Brailleschrift. Die Bücher, die heute für Blinde gedruckt werden, entstehen auf Maschinen, die aus den früheren Patenten meines Vaters entwickelt wurden.“(S. 14). 

 

Margaret ist 17 Jahre, als der Vater stirbt. Sie besucht verschiedene Colleges und Universitäten und lernt dabei einen Mann namens Everett Chapman, der gerade sein Studium als Elektroingenieur abgeschlossen hat, kennen. Rasch wird geheiratet, aber bereits nach einem Jahr kommt es zur Scheidung, da Margaret nicht bereit ist, die Rolle der fügsamen Ehefrau zu übernehmen. Als Studentin besucht Margaret verschiedene Seminare in Biologie, Zoologie und Kunstgeschichte. Zufällig landet sie dabei auch in einem Kurs von Clarence H. White, der die Technik des Fotografierens unterrichtet. Da die junge Frau nach der Scheidung für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen muss, besinnt sie sich auf die Reflexkamera, die ihr die Mutter vor einiger Zeit geschenkt hat. Sie macht Landschaftsaufnahmen auf dem Universitätsgelände von Ithaca und verkauft diese Bilder. Bald bekommt sie die Anfrage einer Architektenfirma, ob sie moderne Bauten und Brücken fotografieren wolle. Sie beendet ihr Studium und beginnt 1927 ihre Laufbahn als Architektur- und Industriefotografin. Einige Zeit lebt sie in Cleveland, Ohio, wo sie vor allem Maschinen und Menschen in den Stahlwerken und Gießereien mit der Kamera festhält. In diesen Bildern, die gegen Ende der zwanziger Jahre entstehen, zeigt sich ein gigantischer Fortschrittsglaube. „Ihre spektakulären Aufnahmen von Industrieanlagen stellten einen neuen und vielbeachteten fotografischen Zugang zur rasanten Wirtschaftsentwicklung der Vereinigten Staaten dar.“

 

1929 wird die zwischenzeitlich nicht mehr unbekannte Fotografin nach New York eingeladen. Sie soll für die führende Wirtschaftsillustrierte „Fortune“ arbeiten. Bald eröffnet Margaret Bourke-White im obersten Stockwerk des Chrysler-Buildung ihr Fotoatelier. Das Entstehen dieses Wolkenkratzers hat sie mit dem Fotoapparat begleitet und die eingangs beschriebene Schwarz-Weiß-Aufnahme von ihr wurde vor dem Fenster ihres Studios in luftiger Höhe arrangiert.

 

Sie reist in die Sowjetunion und nach Europa, um u.a. Bildreportagen über die I.G. Farben und die Werften von Hamburg zu machen. Sie wird eine exzellente Fotojournalistin. Als im November 1936 das auf dem Gebiet der Fotoreportage bald eine hervorragende Rolle einnehmende Life-Magazin gegründet wird, ist sie sofort dabei und liefert das Titelbild über den Staudammbau von Fort Peck Lake. Für diese Zeitschrift wird sie über zwanzig Jahre arbeiten. 1937 erscheint ein Bildband über die Lebensbedingungen der Feldarbeiterinnen im Süden der USA. Die Texte zu „You Have Seen Their Faces“ stammen von dem Schriftstellers Erskine Caldwell, den sie vor Beginn des Zweiten Weltkriegs heiratet. Bereits nach drei Jahren sind sie wieder geschieden. Margaret Bourke-White ist eine zu emanzipierte Frau, die ihre Unabhängigkeit braucht. Während des Zweiten Weltkriegs ist sie die erste weibliche Kriegsberichterstatterin der US-Armee. Sie dokumentiert die Luftangriffe der Deutschen auf Moskau und ist bei dem Kämpfen in England, Nordafrika und Italien dabei. Nach der Kapitulation reist sie durch Deutschland und fotografiert die zerstörten Städte. Als eine der ersten macht sie Bilder von den Überlebenden, aber auch von den Leichen im Konzentrationslager Buchenwald und Zwangsarbeitslager Leipzig-Thekla. Bilder, die erschüttern. In den kommenden Jahren ist Margaret Bourke-White an den Schauplätzen der Weltgeschichte zu finden: Sie macht eine Reportage über Mahatma Gandhi. Dabei entsteht ihr berühmtestes Foto – Gandhi am Spinnrad; sie berichtet in ihren Bildern über den Koreakrieg und sie rüttelt auf durch ihre Reportage über die Arbeitsbedingungen der Schwarzen in den Diamantminen Südafrikas.

 

Sie ist Anfang Fünfzig, als sich die ersten Symptome der Parkinson-Erkrankung bei ihr zeigen. Es beginnt mit „einem leisen dumpfen Schmerzgefühl in meinem linken Bein. (…)“ Nicht im entferntesten aber dachte ich daran, dies könne der heimliche Beginn eines lebenslänglichen Belagerungszustandes sein, der mich zwingen würde, meinem Vokabular ein neues Wort, und zwar auf mich bezogen, hinzuzufügen: das Wort ‚unheilbar’“. (S.324) Aus den Schmerzen im linken Bein und linken Arm wird ein Schwanken, sobald sie vom Sitzen aufsteht und die ersten Schritte geht. Sie versucht diese Unsicherheit in der Öffentlichkeit zu überspielen. Nach einem halben Jahr, in dem sich nichts verändert, begibt sich Margaret Bourke-White in ärztliche Hände und erfährt die Diagnose. Sie nimmt den Kampf gegen die Krankheit auf. Mit Ausdauer und Disziplin bewältigt sie jeden Tag ein physiotherapeutische Programm, dass vor allem die Beweglichkeit der Hände und Finger aufrecht erhalten soll. In ihrem unerschütterlichen Glauben an den Fortschritt unterzieht sich von 1959 -1961 zwei Gehirnoperationen. Aber diese Eingriffe können nicht verhindern, dass ihre Behinderung voranschreitet. 1963 kann sie noch ihre Biografie „Portrait of Myself“ (deutsch: „Licht und Schatten“) beenden. Danach wird es still um die Fotografin. Sie stirbt am 27. August 1971 in Stamford im Bundesstaat Connecticut, wo sie ihr Zuhause gefunden hatte.

 

Quellen:

Margaret Bourke-White: Licht und Schatten. Mein Leben und meine Bilder. München/Zürich 1964 (Zitate mit Seitenangabe entstammen diesem Buch!)

Susanne Gretter und Luise F. Pusch (Hrsg.): Berühmte Frauen 2. Dreihundert Porträts. Frankfurt am Main 2000

http://en.wikepedia.org/wiki/Margaret_Bourke-White

 

 


 


 

aus WeiberZeit Nr. 16/März 2009 I www.weibernetz.de/weiberzeit.html
Erscheinungsweise: vierteljährlich

Herausgeberin
Weibernetz e.V. - Projekt „Politische Interessenvertretung behinderter Frauen“
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