Berühmte behinderte Frauen

Jane Bowles (1917-1973)

 

von Anneliese Mayer

 

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„Als wir auf der Reede von Gibraltar lagen, lernte ich Pauls Frau Jane kennen, die ich für die beste Romanschriftstellerin halte, die es in den Staaten gibt. Sie werden diese meine Überzeugung für völlig abwegig betrachten, doch ich muß an ihr festhalten. Jane Bowles‘ Arbeiten, die mich noch mehr ansprechen als die von Carson McCullers, zeichneten sich durch eine einmalige Sensibilität aus. Und sie war eine bezaubernde junge Frau, voller Humor und menschlicher Wärme, mit sonderbar rührenden kleinen Anfällen von Panik – die ich zutiefst für ‚Theater‘ hielt, bis ich feststellte, daß sie durchaus echt waren. Womit ich nicht sagen will – da sei Gott vor -, daß Theater nicht zuweilen durchaus echt sein könnte.“ 
(Tennessee Williams, S. 202)

 

Tennessee Williams erinnert sich in seinen Memoiren an zwei amerikanische Schriftstellerinnen, die in diesem Jahr im Februar 100 geworden wären: Jane Bowles und Carson McCullers - beide behindert. Während Jane Bowles fast in Vergessenheit geraten ist, wurden die Person und das Werk von McCullers ausgiebig in den Medien gewürdigt. Da Jane Bowles lediglich einen Roman, zwei Romanfragmente, ein Theaterstück und einige Kurzgeschichten hinterlassen hat, kann sie mit ihrer Kollegin nicht mithalten. Dass Tennessee Williams1 sie für „die beste Romanschriftstellerin“ hielt, mag daran liegen, dass es neben einer langen Freundschaft zwischen ihnen Gemeinsamkeiten gab: Die Homosexualität, die Alkoholabhängigkeit und der Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung.

 

Am 22. Februar 1917 kommt in Manhattan ein kleines Mädchen auf die Welt. Es ist die Tochter von Sidney Major Auer und seiner Frau Claire Stajer, die Kinder von österreich-ungarischen und deutschen Einwandern und Juden sind. Sidney hat ein kleines Geschäft, dass Hemden herstellt und arbeitet nach dessen Bankrott in den zwanziger Jahren als Versicherungsvertreter mit eigenem Büro. Das Mädchen bekommt den Namen Jane.

 

Über die Kindheit von Jane ist wenig bekannt. Ihre Biografin Millicent Dillon, stützt sich auf die Erinnerungen von drei Personen, mit denen Jane ihre Kindheit verbringt, ihre Cousine Mary Jane Shour, ihr Cousin Robert Saltzer und ihre Jugendfreundin Miriam Fligelman Levy, die sie in Long Island kennenlernt, wohin die Familie Auer 1928 in ein Eckhaus zieht. Jane hat von Kindheit an eine Gehbehinderung, die von allen drei unterschiedlich wahrgenommen wird. Während ihre Cousine ein wenig eifersüchtig auf Janes Humpeln ist, weil es ihr „mehr Pep verlieh“, sieht Miriam, dass „die kleine Jane, die ein Bein nachzog und ab und zu einen ‚komischen kleinen Hopser‘ einschob“, mit ihr nicht Schritt halten kann. Miriam erzählt: „Sie schien ihrem Bein keine Aufmerksamkeit zu schenken, obgleich ich mich zu erinnern glaube, daß sie eine Art Stützkorsett trug, um die Hüfte zu schonen“ (MD, S. 26). Dagegen steht Mary Janes Aussage: „Jane ärgerte ihr Bein, das sie leicht nachzog. Sie bezeichnete es verächtlich als ‚Crippie‘2“ (MD, S. 23). Von Robert erfahren wir, was in der Verwandtschaft als Gerücht kursierte, Jane sei als Kleinkind von einer Krankenschwester fallen gelassen worden. Danach hätte seine Mutter entdeckt, dass ein Knie größer als das andere wäre.

 

Als Jane 13 Jahre alt ist, stirbt ihr Vater plötzlich an einem Schlaganfall. Sie ist nun mit ihrer lebhaften Mutter allein, die nur das Beste für ihre Tochter erstrebt. Claire verwöhnt ihr „Million-dollar-baby“ und schickt es im Wintersemester 1931 auf ein exklusives Mädcheninternat. Bereits nach einem halben Jahr dort, stürzt Jane vom Pferd und bricht sich das rechte Knie. Mehrere Operationen bringen keine Besserung, da das Knie von Tuberkulose befallen ist. Claire fährt mit ihrer Tochter an den Genfer See, wo sie fast zwei Jahre in einem Sanatorium verbringt. Jane liegt mit ihrem eingegipsten Bein in einem Streckverband und liest französische Romane. Ein Entschluss wächst: Sie möchte Schriftstellerin werden.

 

Mutter und Tochter kehren nach New York zurück. Andauernde Schmerzen im Knie sind geblieben. Schließlich wird es versteift. Jane wird das Bein nie mehr abbiegen können.

 

Mittlerweise ist Jane 17 Jahre. Es stellt sich die Frage, wie ihre berufliche Zukunft auf eine solide Basis gestellt werden kann. Ihre Mutter meldet sie für einen Schauspielkurs an. Nach wenigen Tagen bricht sie ihn ab, weil sie kein Talent bei sich entdecken kann. Genauso ergeht es ihr bei einem Schreibmaschinenkurs. Sie schreibt jedoch einen Roman in französischer Sprache mit dem Titel „Le Phaéton Hypocrite“. Bis heute wurde das Manuskript jedoch nicht gefunden. Am liebsten verbringt sie jedoch ihre Zeit auf Partys und in Bars. Schon bald ist sie in Greenwich Village – dem Künstlerviertel in Manhattan – unübersehbar. Sehr besorgt beobachten ihre Mutter und deren Schwestern ihre sexuelle Orientierung. Dass sie sich in Lesbenbars herumtreibt und Affären mit Frauen hat, gefällt ihnen überhaupt nicht. Die hübsche Jane - mit teuren Kleidern ausgestattet - soll sich nach einem standesgemäßen Mann umsehen. In einem Brief an einem Freund schildert die 18-Jährige eine familiäre Auseinandersetzung, nachdem sie ihre Tante wieder mal in einer Lesbenbar gefunden und zu ihrer Mutter ins Hotel3 gebracht hat: „Mutter dächte nicht daran, sich meinem Glück in den Weg zu stellen -, und daß dieser lesbische Kram bloß eine jugendliche Phase sei (Jugend geht in unserer Familie von sieben bis dreiunddreißig) und daß ich, wenn ich nur nicht so analytisch veranlagt wäre, bestimmt damit aufhören würde -, und sollte ich wirklich lesbisch sein, würden sie Geld für mich auftreiben und mich in einem eigenen Privatbus zum Village verfrachten (…), aber das sei ich nun absolut nicht, darum dürften sie mich nicht ins Verderben rennen lassen! Tante Flo empfahl 130 Männer zusätzlich, um mich auf die rechte Bahn zu bringen – Tante Connie 135. Dasselbe Mittel scheint gut zu sein für dich und die Lesben -, wie ein magisches Wässerchen oder Aderlaß im Mittelalter“ (JB S. 194f).

 

Auf einer Party im Februar 1937 lernt Jane den sechs Jahre älteren Paul Bowles kennen, der sich bereits als Komponist einen Namen gemacht hat. Sie erzählt einem Bekannten von dem Eindruck, den Paul auf sie gemacht hat und stellt fest: „Er ist mein Feind!“ Als Paul ihr jedoch erzählt, dass er mit einem befreundeten Ehepaar nach Mexiko fahren wird, möchte sie dabei sein. Die Fahrt, die ausgelassen beginnt, entwickelt sich zu einem Desaster. Kaum hat derGreyhound-Bus die Grenze zu Mexiko erreicht, bekommt Jane heftigen Durchfall. Da Jane seit ihrem Aufenthalt in der Schweiz vor Bergen, Gewittern und Aufzügen u. ä. Angst hat und die Strecke über schwindelnde Abgründe führt, kauert sie sich im hinteren Teil der nunmehr mexikanischen Fahrzeuge zwischen indianischen Bauersfrauen und ihren Hühnern auf dem Boden zusammen. In Mexico-City angekommen, gibt es in dem einzigen Hotel, dass für sie annehmbar ist, kein freies Zimmer mehr. Anderentags setzt sie sich in ein Flugzeug und fliegt in die USA zurück ohne sich von ihren Reisegefährten zu verabschieden. Aber sie weiß nun auch, dass sie sich zu dem sensiblen, aber distanzierten Paul hingezogen fühlt.

 

Am 21. Februar 1938 – ein Tag vor Janes 21. Geburtstag – heiraten die Beiden. Anschließend fahren sie gemeinsam nach Panama und Costa Rica. Ihr Gepäck besteht aus 2 Kleidertruhen, 27 Koffern, einem Plattenspieler und einer Schreibmaschine. Jane, die im Grunde nicht gerne reist, erlebt Abenteuer, die sie später in ihrem Roman verarbeitet. So lässt sie sich von ein paar Studenten in ein Bordell führen, denn sie ist neugierig, eines kennenzulernen. Ein hochrangiger Gast kommt, sieht sie, glaubt sie sei eine Prostituierte und möchte mit ihr ins Geschäft kommen. Der Freier ist sehr beharrlich. Im letzten Augenblick kann sie über den Hinterhof fliehen.

 

Von Mittelamerika aus fährt das Paar nach Frankreich. In Paris angekommen, stürzt sich Jane wieder in das gesellschaftliche Leben. Einen Tag ohne Alkohol ist für Jane inzwischen nicht mehr vorstellbar. Sie kommt meist spät nachts oder früh morgens von ihren Partys zurück, was Pauls Unmut hervorruft. Auch hinterlässt Jane Chaos und die Unordnung, denn sie lässt alles fallen und liegen, wo sie gerade geht und steht - daran gewöhnt, dass immer jemand sie bedient oder für sie aufräumt. Heftige Auseinandersetzungen zwischen den beiden bleiben nicht aus. Bei einem Streit verliert Paul die Kontrolle und schlägt seine Frau. Jane verzeiht ihm, macht ihm aber auch klar, dass Erziehungsversuche bei ihr erfolglos sind. Eine kurzzeitige Trennung erfolgt, als Paul nach Südfrankreich reist und sie in Paris bleibt.

 

Nach sechs Monate sind sie wieder in New York. Paul hat mehrere Aufträge für Film- und Bühnenmusik. Anfangs wohnen sie in einer billigen Wohnung ohne Heizung und erst als Paul seine ersten Honorare bekommt, können sie ein Farmhaus in Staten Island mieten. Jane lädt ihre Freunde und Bekannten nun zu sich ein. Es werden ausgelassene Partys gefeiert. Sie hat schon seit ihrer Jugend eine Affinität für Alkoholikerinnen. So nimmt sie nun eine Mary Oliver bei sich auf, mit der Vorstellung ihr helfen zu können.

 

Als Paul merkt, dass die extravagante Mary nur auf seine Kosten lebt und die Partys immer ausgelassener werden, so dass er keine Ruhe zum Arbeiten mehr findet, kommt es im Herbst 1939 zu einem Streit. Er schlägt sie erneut. Ihre sexuelle Beziehung ist von da an beendet. Sie werden jedoch auch weiterhin zusammenbleiben, wenn auch räumlich getrennt.

 

Für Jane ist es immer wichtig, ihre Wirkung auf andere zu beobachten. So glaubt sie, dass die Leute, die sie kennenlernt, zuerst ihr steifes Bein zur Kenntnis nehmen, was in ihr ein „Gefühl der Erniedrigung“ auslöst. Sarkastisch bezeichnet sie sich als „Crippie, the Kike Dykes“ (Crippie, die jüdische Lesbe), um eventuellem Spott zuvor zu kommen. So kann es auch vorkommen, dass sie – wenn sie keine Hosen trägt - ein Heftpflaster auf das Knie klebt, wodurch sie den Anschein erweckt, eine vorübergehende Verletzung zu haben. Überhaupt ist sie für ihre FreundInnen und Bekannten schwer durchschaubar: Spielt sie Theater oder ist sie tatsächlich so amüsant, anschmiegsam und unterhaltsam? Jedenfalls kann ihre Stimmung sehr schnell umschlagen.

 

Im Sommer 1940 begleitet Jane ihren Mann nach Mexiko. Dort lernt sie die 45 Jahre alte Helvetia Perkins kennen, eine unkonventionelle Frau, aber mit strengen Maßstäben, die sich sehr früh von ihrer gutbürgerlichen Herkunft gelöst und nach kurzer Ehe ihre Tochter allein erzogen hat. Diese „Rebellin“ wird nun Janes Geliebte. Sie wohnen zeitweise zusammen. Da Helvetia eine sehr dominante Persönlichkeit ist, bleibt auch in dieser Beziehung der Streit nicht aus. Jane verarbeitet diese Beziehung in dem Puppenspiel „Ein streitendes Paar“.

 

1941 beendet Jane ihren Roman „Two Serious Ladies“4, der aber erst zwei Jahre später veröffentlicht wird. Er erzählt die Geschichte zweier Frauen: von Mrs. Copperfield, die ihren Mann auf einer Reise nach Panama begleitet und dort eine Beziehung mit einer Prostituierten eingeht. Die zweite „ernsthafte Dame“ ist Miss Goering, die den Annäherungsversuch einer Frau ablehnt und sich auf zwielichtige Typen einlässt.

 

Es ist eine sehr verwirrende Geschichte. Am besten nähert man sich ihr auf der emotionalen Ebene an. „Ein Kritiker hat einmal behauptet, wer versuchen wolle, die Handlung von Two Serious Ladies nachzuerzählen, riskiere seinen Verstand“ (MD, S. 141). Die Besprechungen des Buches sind hauptsächlich negativ. Jedoch lässt sich Jane noch nicht entmutigen. Sie veröffentlicht einige Kurzgeschichten und arbeitet an einem Theaterstück. Bei Paul, mit dem sie den Roman immer wieder durchgesprochen hat, löst er eine Wende in seinem beruflichen Schaffen aus. Er beginnt mit Erzählungen, wagt sich dann an einen Roman, der den Titel „Himmel über der Wüste“ bekommt und ein durchschlagender Erfolg wird. Jane wird also die Wegbereiterin für seine heute noch andauernde Berühmtheit als Schriftsteller, wie er selbst zugibt:

 

„Ich hätte ohne Zweifel nicht angefangen zu schreiben, wenn ich nicht mit Jane verheiratet gewesen wäre. Ja, wenn ich nicht mit ihr zusammengelebt hätte, wenn ich nicht bei der Geburt ihres Romans dabeigewesen wäre… es ist gut möglich, daß ich Komponist geblieben und nie Schriftsteller geworden wäre.“ (RB, S. 142)

 

Kurz vor der Veröffentlichung von Two Serious Ladies hat Jane nach einem Streit mit Helvetia versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Diesen Selbstmordversuch verschwieg sie Paul. Verschweigen muss sie immer wieder, um ein Bild der vorbildlichen Ehe aufrecht zu erhalten. So darf z.B. der zweite Mann ihrer Mutter nie erfahren, dass sie lesbisch ist.

 

1948 folgt Jane ihrem Mann nach Marokko. Der hat sich vor drei Jahren in Tanger niedergelassen. Tanger ist damals Internationale Zone innerhalb des französischen Protektorats Marokko und ein billiger Rückzugsort für europäische und amerikanische Künstler und Aussteiger. Jane wird von Cory begleitet, ihrer neuen Geliebten. Der Aufenthalt von Cory ist kurz, wohingegen Jane mit Unterbrechungen mehr als zwanzig Jahre in Tanger leben wird. Auf dem Getreidemarkt begegnet sie den Händlerinnen Tetum und Cherifa, zwei Frauen, zu denen sie sich hingezogen fühlt, die eine älter, die andere zehn Jahre jünger als sie. Mit Geschenken versucht sie deren Zuneigung zu gewinnen. Und sie lernt arabisch. 1949 verfasst Jane ihre letzte Erzählung „Ein grüner Lutscher“. Sie kämpft mit einer Schreibblockade. Sätze werden anfangen und bleiben unvollendet oder werden gestrichen. Anfang der fünfziger Jahre fährt sie für einige Monate nach New York, um bei den Proben für ihr Theaterstück „In the Summer House“ anwesend zu sein. Der letzte Akt wird von ihr immer wieder umgeschrieben. Nach den Aufführungen in New York und Michigan sind die Kritiken schlecht.

 

Zurück in Tanger begleitet Jane 1954 Paul und seinen Freund, dem marokkanischen Maler Ahmed Jacoubi nach Ceylon, wo Paul eine kleine Insel gekauft hat. Aber Jane kommt mit dem Klima nicht klar und sie kehrt zurück. Inzwischen hat sie Cherifa als Geliebte gewonnen und offiziell als Hausangestellte in ihr Haus aufgenommen. Oft wurde behauptet, die Araberin hätte sie maßlos ausgenutzt. Jeder in ihrer Umgebung weiß, dass Cherifa lesbisch ist. Das wird toleriert, solange sie damit nicht öffentlich auftritt und unter ihresgleichen bleibt. Eine Beziehung mit einer „Fremden“ verstößt gegen den unausgesprochenen Kodex der Gemeinschaft.

 

Janes Abhängigkeit vom Alkohol nimmt inzwischen besorgniserregende Züge an. Jane hat einen sehr hohen Blutdruck und nimmt dagegen Serpasil. Die Tabletten in Kombination mit dem Alkohol lassen nichts Gutes erwarten.

 

Am 5. April 1957 erleidet Jane einen Schlaganfall. Es geht das Gerücht um, Cherifa habe einen bösen Zauber auf sie ausgeübt. Der Schlaganfall hat zur Folge, dass sie eine Aphasie und eine Hemianopsie (Einengung des Gesichtsfelds) nach rechts davonträgt, die durch ihre lebenslange Kurzsichtigkeit noch verstärkt wird. Hinzu kommen epileptische Anfälle. Paul, der sich in Asien aufhält, wird zurückgerufen. Er fährt mit ihr zweimal zur medizinischen Behandlung in England. Unter anderem kommt sie für einige Wochen in eine psychiatrische Klinik in Northampton, wo sie sich einer Elektroschocktherapie aussetzen muss. Ihre Sprache bessert sich und die epileptischen Anfälle gehen zurück. Die anschließende Rückkehr nach Tanger ist von kurzer Dauer. Aufgrund der politischen Unruhen nach der Unabhängigkeit Marokkos und der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit quartieren sich die Bowles erst mal auf der Insel Madeira ein. Jane begibt sich aber bald wieder in die USA, wo sie in Tennessee Williams Wohnung Unterschlupf findet. Ihr Freundeskreis hat sich reduziert. Aber die wenigen, die ihr zugetan sind, unterstützen sie nach Kräften, wie die Sängerin Libby Holman, die ihr finanziell unter die Arme greift und die Kosten für die medizinische Versorgung übernimmt. Ihre Mutter sorgt dafür, dass sie sich für drei Monate in eine psychiatrische Klinik zur Therapie begibt.

 

In der ersten Hälfte der sechziger Jahre lebt Jane wieder in Tanger. 1965 erscheint ihr Roman in England und findet positives Echo. Aber das Einerlei des Alltags bringt sie in eine depressive Stimmung. Sie versucht zwar, wie schon früher Kleinigkeiten zu dramatisieren, aber das findet keine Resonanz. Zu ihrem Charakter gehört schon immer eine Unentschlossenheit. Sie konnte immer schon schwer Entscheidungen treffen und jetzt verstärkt es sich noch. Hinzukommt, dass sie wieder trinkt und ihre Medikamente unkontrolliert einnimmt.

 

Als sich ihr Zustand immer mehr verschlechtert, bringt Paul sie 1967 in eine psychiatrische Klinik in Malaga. Dort bekommt sie wieder Elektroschocks. Sie äußert ihre Unzufriedenheit mit der dortigen Versorgung und Paul veranlasst, dass sie in das psychiatrische Krankenhaus eines katholischen Ordens kommt. Immer wieder fleht Jane ihren Mann an, sie nach Hause zu holen. Er versucht es, aber Jane verweigert das Essen und die Tabletteneinnahme. Sie bekommt Wutanfälle und äußert den Wunsch zu sterben. Gleich darauf ist sie völlig apathisch. Nach vier Monaten in Tanger bringt Paul sie zurück ins Krankenhaus Clinica de los Angeles bei Malaga. Dort konvertiert Jane zum katholischen Glauben. Es wird vermutet, dass dies nur aufgrund des permanenten Zuredens der Nonnen geschah.

 

Am 4. Mai 1973 stirbt Jane Bowles nach einem dritten Schlaganfall.

 

„Ich habe noch nie einen Tag genossen, aber ich höre nie auf mit meinem Mühen, Vorkehrungen für das Glück zu treffen“ (Jane Bowles, 1954 zit. nach MD, S.490).

 

 

Anmerkungen:

  1. Tennessee Williams hatte eine psychisch-kranke Schwester namens Rose, an der eine Lobotomie vorgenommen wurde. Sie verbrachte den überwiegenden Teil ihres Erwachsenenlebens in Anstalten. Rose diente auch als Vorbild für die Figur der Laura in Williams‘ Theaterstück „Die Glasmenagerie“.
  2. Abgeleitet von „Cripple“ (deutsch: Krüppel)
  3. Seit dem Tod von Janes Vater wohnen sie und ihre Mutter in wechselnden Hotelappartements.

 

 

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Quellen:

Millicent Dillon: Jane Bowles. Lauter kleine Sünden – Eine Biographie. Goldmann-Taschenbuch. München 1995 (zitiert mit MD)

Jane Bowles: Zwei sehr ernsthafte Damen. Roman. Brigitte Edition Band 7. Gruner + Jahr. Hamburg 2005

Jane Bowles: Eine richtige kleine Sünde. Prosa etc. Carl Hanser Verlag, München 1988 (zitiert mit JB)

Robert Briatte: Paul Bowles – 2117 Tanger Socco. Ein Leben. Rowohlt Taschenbuchverlag. Hamburg 1991 (zitiert mit RB)

Tennessee Williams: Memoiren. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 1977


 


 

aus WeiberZeit Nr. 33/Dezember 2017 I www.weibernetz.de/weiberzeit.html
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