Berühmte behinderte Frauen

Gertrude („Trudy“) Ederle (1906-2003)

 

von Anneliese Mayer

 

Dieses Jahr hätte sie ein doppeltes Jubiläum zu feiern. Zum einen wäre im Oktober ihr 100. Geburtstag, und zum anderen ist es diesen Sommer genau 80 Jahre her, dass sie als erste Frau der Welt den Ärmelkanal durchschwamm. Diese Daten sind gesichert. Einige Ereignisse in ihrem Leben scheinen eher in der Fantasie der/des jeweiligen Erzählerin/Erzählers stattgefunden zu haben.

 

Gertrude Caroline Ederle wird am 23. Oktober 1906 im New Yorker Stadtteil Queens geboren – ein Viertel im Zentrum von Long Island, in dem sich zahlreiche Einwanderer Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Existenz aufbauen. Hier unterhält der gelernte Metzger Heinrich (Henry) Ederle, ein gebürtiger Schwabe, zusammen mit seiner aus Ostpreußen stammenden Frau Gertrud, ein Feinkostgeschäft in der Amsterdam Avenue. Gertrude wächst mit fünf Geschwistern auf.

 

Wo Gertrude das Schwimmen gelernt hat, darüber gibt es verschiedene Versionen. Je nachdem, ob ihr Leben von einem deutschen oder einem amerikanischen Autor beschrieben wird, unternimmt sie entweder im schwäbischen Bissingen oder in New Jersey ihre ersten Übungen im Wasser. Jedenfalls scheint sie sehr rasch einen sportlichen Ehrgeiz zu entwickeln.

 

Bereits 1919 stellt sie im 800 Meter Freistil mit 13:19:0 Minuten einen Weltrekord auf. Ab 1921 nimmt ihre sportliche Karriere einen rasanten Verlauf. Sie erzielte in den verschiedensten Schwimmdisziplinen  11 (oder sind es18?) Weltrekorde. Bei den Olympischen Spielen 1924 ist sie zwar nicht so erfolgreich – wahrscheinlich weil die Erwartungen an sie sehr hoch sind, aber immerhin gewinnt sie eine Gold- und zwei Bronzemedaillen 1).

 

Nach diesem für ihren Ehrgeiz eher schmählichen Erfolg, strebt sie ein neues Projekt an, das durch die beiden Tageszeitungen „Daily News“ und „Chicago Tribune“ gesponsert wird. Sie will als erste Frau den Ärmelkanal durchqueren. Bisher hatten dies nur fünf Männer geschafft.  1925 startet Trudy nach intensivem Training den ersten Versuch, der damit endet, dass sie bewusstlos aus dem Wasser gezogen werden muss. Jedoch kein Grund für sie aufzugeben.

 

Doch dann kommt der 6. August 1926. Morgens um 7.09 Uhr startet sie im französischen Cap Griz-Nez, nachdem sie zuvor von ihrem Vater mit Schmalz  und  Vaseline eingerieben wird. Ein Boot begleitet sie aus dem sie Hühnerbrühe, Zucker und Obst zur Stärkung versorgt wird. Als sie nach 14 Stunden und 39 Minuten völlig erschöpft das Ufer bei Kingsdown erreicht, wohin sie die Strömung abtrieb, hat sie eine Strecke von 35 Meilen in einer absoluten Rekordzeit zurückgelegt: Trudy Ederle ist 1 1/2 Stunden schneller als ihr Vorgänger, der Argentinier Enrique Tiraboschi. Damit stellt sie unter Beweis, dass Frauen ebenso wie Männer zu Höchstleistungen fähig sind: „People said women couldn’t swim the Channel but I proved they could.“.

 

Trudi Ederle ist nunmehr der Star des Sommers 1926. Sowohl in der alten Heimat ihres Vaters als auch in New York wird sie gefeiert.  Am Broadway empfängt man sie mit einer Konfetti-Parade, und hunderttausend Menschen jubeln ihr zu. Irwin Berlin komponiert ihr zu Ehren den Schlager „Trudy“, und sie bekommt einen hochdotierten Vertrag für eine Wasserrevue. Ihre Zukunft scheint gesichert.

 

Der Bruch kommt kurz vor ihrem 23. Geburtstag. Die Profischwimmerin hat schon immer Schwierigkeiten mit dem Hören gehabt. Bei einer ärztlichen Untersuchung stellt man fest, dass sie im Laufe der nächsten Jahre ertauben wird – der stundenlange anstrengende Aufenthalt im Salzwasser wird als Ursache genannt. Diese Mitteilung bringt Trudy Ederle völlig aus der Fassung. In ihrer Verzweiflung zertrümmert sie das gläserne Becken, in dem sie allabendlich ihre Schwimmkünste vorführt, mit einer Feueraxt. Eine hohe Schadensersatzklage des Varietés bringt sie fast um ihre Ersparnisse 2).

 

Zu der Hörbehinderung kommt noch hinzu, dass sie beim Sprechen rasch ermüdet, da auch ihre Stimmbänder durch das Salzwasser Schaden genommen haben.

 

Doch dem nicht genug. 1933 erleidet sie durch einen Sturz eine Wirbelsäulenverletzung und muss fast sechs Jahre ein Gipskorsett tragen. Dank ihrer Willensstärke läßt sie sich nicht unterkriegen und verwendet ihre ganze Energie darauf, wieder schwimmen zu können. Während des Zweiten Weltkriegs meldet sie sich als Freiwillige und arbeitet in der Flugzeugfabrik.

 

Bereits in den fünfziger Jahren ist sie völlig gehörlos. Ihre Leidenschaft – das Schwimmen – lässt sie jedoch nicht los. Fortan arbeitet sie mit gehörlosen Kindern,  denen sie mit großer Hingabe Schwimmunterricht gibt.

 

Gertrude Ederle hatte im Sport ihre Berufung gefunden und übt ihn bis zu ihrem 70.Lebensjahr aus. Ab diesem Zeitpunkt verschlechtern sich ihre Augen und sie zieht sich immer mehr zurück. Doch auf ihr eigenständiges Leben scheint sie bis zum Schluss allergrößten Wert zu legen, denn sie zieht erst mit 94 Jahren in ein Pflegeheim in Wyckoff in New Jersey. Dort stirbt sie am 30. November 2003.

 

Fußnoten:

1) Star der amerikanischen Qlympiamannschaft ist Johnny Weissmuller, der acht Jahr später als „Tarzan“-Darsteller welt-berühmt wurde.

2) Dieses Ereignis wird in englischsprachigen Artikeln nicht erwähnt.

 

Literatur:

Florence Hervé/Ingeborg Nödinger: „Lexikon der Rebellinnen.“ München 1999 

Ernst Probst: „Superfrauen“ Band 12 – Sport. Mainz 2001

http://de.wikipdia.org/wiki/Gertrude_Ederle

www.noww.nl/info/port-ederle-gertrude.html

 


 


 

aus WeiberZeit Nr. 11/Juli 2006 I www.weibernetz.de/weiberzeit.html
Erscheinungsweise: vierteljährlich

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