Berühmte behinderte Frauen

Elizabeth Barrett Browning (1806 -1861) 

 

von Anneliese Mayer

 

Sie galt bereits zu ihren Lebzeiten als bedeutendste Dichterin Englands. Mehrmals wurde sie für den Poet Laureate (Die erste Frau, die die Auszeichnung  des Hofdichters in Großbritannien bekam ist Carol Ann Duffy. Seit 2009 darf die Lyrikerin den Titel für zehn Jahre tragen. Duffy ist lesbisch) vorgeschlagen - diese Ernennung zum Hofdichter bekamen jedoch immer nur männliche Poeten. Ihr reger Briefwechsel inspirierte Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts zu Erzählungen und Romanen, in denen ihr Hund oder ihre Dienerin die Protagonisten sind: Von Virginia Woolf erschien 1933 eine Erzählung über den Cockerspaniel Flush und Margaret Forster widmete Lilly Wilson einen Roman. Dreh- und Angelpunkt sowohl von Flush als auch von Lilly Wilson ist jedoch immer ihre Herrin: Elizabeth Barrett Browning. Elisabeth Barrett wurde am 6. März 1806 als erstes von elf Kindern des wohlhabenden Geschäftsmanns Edward Moulton Barrett und seiner Frau Mary Graham-Clarke geboren. Ihr Vater war 1792 als kleiner Junge aus Jamaika, wo die Familie riesige Zuckerrohrplantagen besaß und dem Geschäft des Sklavenhandels nachging, nach England ins Internat geschickt worden. Er kehrte nie mehr in die Karibik zurück. Elizabeth verbringt die ersten beiden Lebensjahre in Coxhoe Hall bei Durham, einem vornehmen Landhaus im Nordosten Englands, bevor die Familie in die Grafschaft Herefortshire umzieht. Edward Moulton Barrett hat hier einen kleinen Palast bauen lassen. Hier verlebt Elizabeth ihre Kindheit und Jugend gemeinsam mit ihren zwei Schwestern Arabel und Henrietta und ihren acht Brüdern.

 

„Schon als kleines Mädchen trug sie das Bestimmerhütchen, war laut, entschlossen und trotzig, warf die Stühle um, wenn es nicht nach ihrem Willen ging, stiefelte sie im Park durch das Gestrüpp und herrschte über ihre Kindermädchen und die jüngeren Geschwister. Daß sie trotzdem geliebt wurde, lag an ihrer unterhaltsamen Phantasie und ihrem koboldhaften Charme.“(S. 19) (aus: Elsemarie Meltzke: Eine Liebe in Florenz, ebenso wie alle weiteren Zitate). Das junge Mädchen ist sehr aufgeweckt und blitzgescheit. Mit vier Jahren kann sie bereits lesen, mit sechs entstehen die ersten Gedichte und mit zehn schreibt sie Dramen. Sie bekommt jedoch keine ihrem Intellekt und ihrer Begabung entsprechende Förderung, kann jedoch an den Unterrichtsstunden für ihren nächst älteren Bruder Edward „Bro“ teilnehmen, was sie voller Begeisterung tut. Sie lernt die Sprachen Griechisch, Latein, Italienisch und Deutsch und interessiert sich für Philosophie und Geschichte. 1820 lässt der stolze Vater ihr erstes längeres Werk in Blankversen für den Privatgebrauch drucken. Es trägt den Titel: „Die Schlacht von Marathon“.

 

Als Jugendliche stürzt die leidenschaftliche Reiterin vom Pferd. Die Folgen sind Magenkrämpfe, Kopf- und Rückenschmerzen, die ihr das Sitzen und Gehen erschweren. Die Ärzte gehen von einer Rückgratverletzung aus. Die Symptome sind jedoch nach einiger Zeit wieder verschwunden. Sie kann sich wieder bewegen, ermüdet jedoch sehr schnell. Sie charakterisiert sich selbst später so: „Ich gehöre zu der Sorte schwacher Frauen, deren Seele nicht immer Gewalt über den Körper hat, Frauen, die in hysterische Zustände verfallen, wenn stattdessen Tatkraft und Widerstand gefordert sind.“ (S. 24) Es scheint jedoch nicht nur ein zerrüttetes Nervensystem zu sein, was sie körperlich schwächt, sondern Beschwerden, die sich im Laufe der Jahre zeigen, wie Husten, Schwäche und blutiger Auswurf, deuten eher auf eine Tuberkulose hin. (Virginia Woolf geht von einer Blutung im Gehirn aus. Männliche Autoren unterstellen Elizabeth Barrett dagegen eine Hypochondrie.)

 

Der Familiensitz „Hope End“ muss 1832 verkauft werden, da die Geschäfte Einbußen erlitten haben, seitdem die Sklaverei in Großbritannien abgeschafft ist. Zuerst erfolgt ein Umzug nach Sidmouth an der Ärmelkanalküste und drei Jahre später nach London in die Wimpole Street Nr. 50. Sie ist mittlerweile 34 Jahre, als sie sich in Begleitung ihres Lieblingsbruders nach Torquay an die englische Riviera zu einem Genesungsaufenthalt begibt. Auf tragische Weise kommt Bro bei einem Segelausflug ums Leben. Elizabeth gibt sich die Schuld an dem Unfall, da sie „eigennützig“ eine frühere Rückkehr des Bruders nach London verhindert hätte. Der autoritäre Vater, welcher auch als „Donnergott“ bezeichnet wird, beorderte seinen ältesten Sohn nach London, nachdem es einen Todesfall in der Familie gegeben hatte. Elizabeth erhob Einspruch dagegen – sie wollte den Sommer in Torquay weiter mit Bro genießen.

 

Dessen Tod stürzt sie in eine tiefe Depression. „Monatelang lag sie fiebrig und gelähmt in ihrem Zimmer, konnte nicht weinen, nicht essen und der Schlaf kam nur nach vielen Tropfen Laudanum. Im Wachen litt sie unter Halluzinationen bis zum Rand des Wahnsinns.“ (S.31) Elizabeth Barrett, die „Einsiedlerin in der Wimpole Street“ ist inzwischen prominent. Ihre Gedichte sind veröffentlicht und finden breite Anerkennung. Nur noch selten verlässt sie ihr abgedunkeltes Zimmer. Sie empfängt ihre Besucher auf dem Sofa liegend. Um die Schmerzen zu bekämpfen, nimmt sie täglich Morphium und wird die Dosis mit der Zeit immer mehr erhöhen, was sie zu einer Süchtigen macht. Eine befreundete Schriftstellerin schenkt ihr einen jungen Hund – Flush -, der sie ein wenig von ihren Grübeleien ablenken und ihr wieder Lebensfreude schenken soll. Dies gelingt jedoch einem anderen. Im Januar 1845 kommt der erste Brief von Robert Browning bei ihr an. Browning ist ebenfalls Dichter, sechs Jahre jünger als sie und drückt darin seine Bewunderung für ihre Werke aus. Er möchte sie unbedingt kennenlernen – sie hält ihn noch hin. Dann endlich im Mai steht er in ihrem Zimmer, und es beginnt eine wunderbare Liebesromanze, deren Stadien Elizabeth in ihren „Sonnets from the Portuguese“ niederschreiben wird. Robert Browning wird ihr von nun an jede Woche einen Besuch abstatten. Insgesamt werden in ersten zwanzig Monaten ihrer Bekanntschaft 572 Briefe gewechselt.

 

Elizabeth’s Vater und die Brüder dürfen von der sich anbahnenden Liebesbeziehung nichts erfahren. Der „Donnergott“ hat seinen Kindern verboten, jemals zu heiraten. Er befürchtet, dass bei deren Nachkommen eventuell das afrikanische „Blut“ durchkommen könnte, dass durch die Nebenbuhlerschaft seiner Vorfahren mit den Sklavinnen und Sklaven auf Jamaika verursacht wurde, was gegen seine hohen moralischen und religiösen Werte verstoßen hätte. Alle, die gegen das Heiratsverbot verstoßen, werden vom Vater enterbt und er kehrt sich von ihnen ab. Diesen Weg muss auch seine älteste Tochter gehen, da sie sich ein Leben ohne Robert Browning nicht mehr vorstellen kann. Am 12. September 1846 heiraten die beiden heimlich in der Kirche am Regent’s Park. Nur die Schwestern und Lily Wilson, die Zofe, sind eingeweiht. Wenige Tage vor der Hochzeit gibt es noch große Aufregung, da Flush entführt wird. Erst durch ein hohes Lösegeld bekommt Elizabeth ihren Hund wieder zurück. (Ingesamt wurde Flush dreimal entführt und durch eine Summe von insgesamt 20 Pfund freigekauft. Im Vergleich: Lily Wilson verdiente im Jahr 16 Pfund.)

 

Eine Woche nach ihrer Hochzeit verlässt Elizabeth gemeinsam mit Lily und Flush unbemerkt das Haus an der Wimpole Street, besteigt eine Kutsche und nachdem Robert dazu stößt, beginnt ein mehrwöchige Reise nach Italien, die über Paris und Avignon führt. Die Brownings wollen in Italien eine neue Heimat finden. Da Elizabeth durch das Vermächtnis einer Tante im Jahr über 350 Pfund verfügt, muss sich das Paar finanziell nicht einschränken. Ihr erster Aufenthaltsort ist Pisa, wo sie die milden Wintermonate verbringen und die Sonne und das fröhliche Leben genießen können. Elizabeth schlendert nun am Arm ihres Mannes durch die Gassen und wenn sie müde wird, bestellen sie eine Sänfte oder er trägt seine kleine, zierliche, dunkelhaarige Frau ein Stück auf den Armen. Dabei sieht sie jedoch keineswegs als Frau, die der männlichen Tatkraft bedürftig ist, wie wir aus einem ihrer Briefe erfahren, in dem sie Männer verurteilt, die „weibliche Schwäche ausnutzen, ja sie geradezu übertreiben, um sich in ihrem männlichen Schutz wichtig zu tun. Ich kenne viele Frauen, die diese männliche Neigung ermutigen, in dem sie ihre Schwäche herausstellen, und in meinen Augen ist dies ein schändliches Verhalten – auf beiden Seiten.“ (S. 100)

 

Im Frühjahr ziehen sie nach Florenz um und nach einigem Wohnungswechsel finden sie in sieben Räumen im Piano Nobile im hochherrschaftlichen Palazzo Casa Guidi eine feste Bleibe – umgeben von einer englischen Künstlergemeinde. Nachdem Elizabeth Barrett Browning drei Fehlgeburten erleidet, bringt sie dort am 9.März 1849 einen Sohn auf die Welt. Er wird auf den Namen „Wiedeman“ getauft, nach dem Mädchennamen von Roberts geliebter Mutter, die kurz vorher in London gestorben ist. Sein Rufname wird aber Pen oder italienisch Penini. Eine Amme und ein Kindermädchen versorgen das Kind. Die Mutter legt Wert darauf, dass ihr Sprössling so lange wie möglich geschlechtsneutral erzogen wird. Die Familie ist im Laufe der Jahre viel unterwegs. Reisen nach London, Paris und Rom, aber auch in die Bäder von Lucca stehen auf dem Programm. In London werden hauptsächlich die Gedichte von Elizabeth editiert, u.a. „Casa Guidi Windows“, welches die politischen Umwälzungen in Italien thematisiert und der Versroman „Aurora Leigh“, der sich sehr kritisch mit dem Frauenbild der Viktorianischen Zeit auseinandersetzt und zeigt, dass die Hauptfigur sowohl ihre Erfüllung als Künstlerin als auch als Geliebte und Ehefrau finden und miteinander vereinbaren kann.

 

1856 erscheinen die bereits erwähnten „Sonnets from the Portuguese“, eine Sammlung von Liebesgedichten. (Die Sammlung wurde 1908 von Rainer Maria Rilke übersetzt und trägt im Deutschen den Titel „Sonette nach dem Portugiesischen“.) Robert Browning hat seiner Frau den Kosenamen „kleine Portugiesin“ gegeben, aufgrund ihrer dunklen Haarfarbe und ihrer dunklen Augen. Sie selbst beschreibt ihr Aussehen so: “klein und schwarz wie Sappho, fünf Fuß, ein Inch groß (1,55 m) keine nennenswerte Nase, ganz sicher kein Überfluß an Nase vorhanden, dafür ein Mund, der zu einer umfangreicheren Person passte – und, oh, ein sehr, sehr schwaches Stimmchen, schwarze Haare, dunkler Teint, kleines Gesicht etcetera.“ (S. 14 )

 

Die harmonische Ehe, die das Dichterpaar führt, wird auf die Probe gestellt, als sich Elizabeth dem Spiritismus zuwendet. Mitte des 19. Jahrhunderts eine Modeerscheinung in den besseren Gesellschaftskreisen, nimmt Elizabeth mit Hingabe an Seancen teil, wenn die Geister Verstorbener gerufen werden und Tische sich verrücken. Ihr Mann hat dafür kein Verständnis und sieht darin nur Scharlatanerie. Besonders von den Darbietungen des Amerikaners Daniel Dunglas Hume, der sich als Medium großer Publizität erfreut, ist er angeekelt. Überhaupt hat der Demokrat Robert wenig Verständnis für die Bewunderung, die seine Frau den großen Männern ihrer Zeit entgegen bringt, z.B. für Kaiser Napoleon III. Ebenso kommt es zu Auseinandersetzungen, wenn es um die Erziehung von Penini geht. Dem Laissezfaire-Stil der Mutter möchte er die Vermittlung von lebensnahen Fertigkeiten entgegensetzen.

 

Elizabeth Barrett Browning’s Gesundheitszustand ist stark von den klimatischen Bedingungen abhängig. Wahrscheinlich führt der häufige Ortswechsel auch dazu, dass sie sich immer schwächer fühlt und die Symptome der Lungenerkrankung sich verstärken. Sie ist mittlerweile 55 Jahre, als sie sich im Sommer 1861 bei einem Durchzug erkältet und die ganze Nacht hustet. Der herbeigerufene Arzt stellt Wasser im rechten Lungenflügel fest. Elizabeth stirbt am 29. Juni in den Armen ihres Mannes in ihrer Wohnung. Sie wird auf dem englischen Friedhof in Florenz beigesetzt. Robert Browning kehrt mit seinem Sohn nach London zurück.

 

Das Gedicht “How do I love thee” ist das bekannteste Liebesgedicht vonElizabeth Barrett Browning:

 

How do I love thee

How do I love thee? Let me count the ways.
I love thee to the depth an breadth and heigh
My soul can reach, when feeling out of sight
For the ends of Being and ideal Grace.
I love thee to the level of everyday*s
Most quiet need, by sun and candlelight.
I love thee freely, as men strive for Right;
I love thee purely as they turn from Praise.
I love thee with the passion put to use
In my old griefs, and with my childhood’s faith.
I love thee with a love seemed to lose
With my lost saints, - I love thee with the breath 
Smiles, tears, of all my life! – and if God choose,
I shall but love thee better after death.

 

Wie ich dich liebe

Wie ich dich liebe? Laß mich zählen wie.
Ich liebe dich so tief, so hoch, so weit,
als meine Seele blindlings reicht, wenn sie 
ihr Dasein abfühlt und die Ewigkeit.
Ich liebe dich bis zu dem stillsten Stand,
den jeder Tag erreicht im Lampenschein
oder in Sonne. Frei, im Recht, und rein
wie jene, die vom Ruhm sich abgewandt.
Mit aller Leidenschaft der Leidenszeit
und mit der Kindheit Kraft, die fort war, seit
ich meine Heiligen nicht mehr geliebt.
Mit allem Lächeln, aller Tränennot
und allem Atem. Und wenn Gott es giebt,
will ich dich besser lieben nach dem Tod.
(Übersetzung von Rainer Maria Rilke)

 

Verwendete Literatur:

Elizabeth Barrett Browning: Selected Poems. Edited by Collin Graham. London 1998

Margaret Forster: Die Dienerin. Roman, Frankfurt am Main 1996

Elsemarie Maletzke: Eine Liebe in Florenz. Elizabeth Barett und Robert Browning. Insel Taschenbuch, Frankfurt am Main 2011

Virginia Woolf: Flush. Eine Biographie. Fischer Taschenbuch. Frankfurt am Main. 4. Auflage, April 2004

 


 


 

aus WeiberZeit Nr. 28/Oktober 2015 I www.weibernetz.de/weiberzeit.html
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Herausgeberin
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