Berühmte behinderte Frauen

Dorothy Hodgkin-Crowfoot (1910 - 1994)

Nobel-Preisträgerin für Chemie

 

von Anneliese Mayer

 

Im Oktober 1964 brachte die englische Tageszeitung Daily Mail eine sensationelle Meldung: „Grandmother wins Nobel-Prize“ lautete die Schlagzeile. Der Frau, der diese Ehrung zuteil wurde, hieß Dorothy Hodgkin-Crowfoot. Nicht wegen ihrer besonderen Fähigkeiten als Großmutter bekam sie die hohe Auszeichnung, sondern vielmehr für ihre wissenschaftliche Arbeit. Dorothy Hodgkin-Crowfoot ist die dritte und bislang letzte Frau, die den Nobelpreis für Chemie erhielt.1)


 

Dorothy Crowfoot wurde am 12.Mai 1910 als Älteste von vier Töchtern des britischen Archäologen und Kolonialbeamten John Winter Crowfoot und seiner Frau Grace Mary in Kairo geboren. Kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kamen die Mädchen nach England. Hier wuchsen sie unter der Obhut ihrer Großmutter und eines Kindermädchens heran, und Dorothy besuchte die höhere Gemeindeschule in Norfolk. Schon sehr früh erwachte bei ihr das Interesse an Chemie. Zusammen mit einer Mitschülerin wurde ihr gestattet am Chemieunterricht teilzunehmen, der ansonsten den Jungs vorbehalten war. Zuhause auf dem Dachboden richtete sich Dorothy ein eigenes Labor ein. Sie interessierte sich besonders für die Strukturanalyse von Kristallen.


 

1928 2) nahm Dorothy Crowfoot als eine der wenigen jungen Frauen ihres Jahrgangs das Studium der Chemie und Kristallographie am Somerville-College in Oxford auf. Ihr Spezialgebiet war die damals noch junge Wissenschaft der Biochemie. Nach Abschluß ihrer Ausbildung ging die junge Chemikerin nach Cambridge, um im Rahmen eines Postgraduaten-Studiums in einer Forschungsgruppe 3) mitzuarbeiten. Dorothy Crowfoot begeisterte sich für eine neue Methode: „Ich war von der Idee besessen, dass es möglich sein müsste, durch die Röntgenstrukturanalyse fast ohne Hilfe anderer physikalischer oder chemischer Beobachtungen die chemische Formel einer Verbindung exakt zu ermitteln.“ Gemeinsam mit dem Wissenschaftler Bernal erarbeitete sie hier die wichtigsten Grundlagen für die späteren eigen-ständigen Analysen an biologisch bedeutsamen Substanzen wie dem Penicillin und dem Vitamin B 12.

Im Alter von 26 Jahren kehrte sie nach Oxford zurück, unterrichtete am Somerville-College und stieg im Rahmen eines Stipendiums in die Insulinforschung ein.

Es gelang Dorothy Crowfoot zum ersten Mal in der Geschichte Interferenzbilder von Insulin zu machen und somit den Aufbau der untersuchten Kristalle dreidimensional darzustellen.


 

1937 promovierte die Chemikerin und heiratete den Historiker Thomas H. Hodgkin. Ein Jahr später, nach der Geburt ihres ersten Sohnes Luke, erkrankte sie an entzündlichem Gelenkrheuma. Hier zwei Beispiele wie ihre Behinderung in den meisten Biografien beschrieben wird: „Trotz der Verwachsungen der Gelenke und ungeachtet der schweren schmerzhaften und entstellenden Krankheit blieb sie ihrer Arbeit und der Wissenschaft treu: ‚Trotz ihrer schrecklich verkrüppelten Finger und Hand-gelenke war sie so gut wie jeder im Labor und besser als die meisten‘, beschrieb eine ihrer Teamkollegen ihre Arbeit stolz.“ Und „Obwohl Dorothy mit 24 Jahren (?) rheumatische Arthritis diagnostiziert wurde, entwickelte sie sich zu einer der besten Kristallographen ihrer Zeit“ 


 

Dorothy Hodgkin war auf jeden Fall eine praktische veranlagte und tatkräftige Frau. Kurz nach der Diagnose ihrer Arthritis und einem anschließenden Kuraufenthalt nahm sie ihre Arbeit im Labor wieder auf. Sie stellte fest, dass sie den Schalter des Röntgengerätes nicht mehr bedienen konnte. Kurzerhand beauftragte sie einen Techniker, einen langen Hebel anzubringen.

Nach ihrem Sohn Luke brachte sie noch eine Tochter und einen weiteren Sohn auf die Welt. Zum Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ meinte sie:

„Ich denke, eine Frau sollte, wenn sie Naturwissenschaften ernst nehmen will, sich nach Möglichkeit mehr um ihre Kinder als um ihren Haushalt kümmern und den einer Hilfe über-lassen, damit sie Zeit findet für ihre Kinder ebenso wie für ihre wissenschaftliche Karriere. Mir ist das zum Glück gelungen.“ Aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung konnte sie zeitweise drei Hausangestellte beschäftigen: ein Kindermädchen, einen Koch und eine Reinigungsfrau.


 

1946 gelang es Dorothy Hodgkin nach vier Jahren intensiver Arbeit die Struktur von Penicillin aufzuschlüsseln: die Voraussetzung zu seiner halbsynthetischen Herstellung. Zu der Zeit ihres großen wissenschaftlichen Erfolgs unterrichtete sie eine junge Studentin, die Jahrzehnte später die erste britische Premierministerin wurde: Margaret Thatcher.


 

1947 wurde sie als dritte Frau überhaupt in die exclusive Royal Society aufgenommen – eine wissenschaftliche Vereinigung, die 1660 gegründet wurde und der bis 1945 nur Männer angehörten. Kurz danach verlieh ihr Queen Elizabeth den „Order of Merit“, den höchsten britischen Zivilorden. Bei dieser Ehrung war ihr nur die Krankenschwester Florence Nightingale zuvor gekommen.

Eine Professur in Oxford erhielt Dorothy Hodgin erst 1956, und 1960 wurde sie Forschungsprofessorin an der Royal Society. 1956 veröffentlichte sie auch ihre Untersuchungen zur Struktur des Vitamins B12. Dieser Arbeit ebenso wie der Strukturanalyse des Penicillins verdankte sie den Nobelpreis.


 

Neben ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit war Dorothy Hodgkin sehr an gesellschaftspolitischen Entwicklungen interessiert. Sie engagierte sich in der Friedensbewegung. Sie war Mitbegründerin und zeitweise Präsidentin der „Pugwash-Bewegung“, einem breiten Zusammenschluß von Wissenschaftlern aus Ost und West gegen den Gebrauch wissenschaftlicher Forschung zur Waffenentwicklung.


 

1977 emeritierte die Professorin. Ihr Engagement und ihr Interesse an der Naturwissenschaft ließ jedoch nicht nach. Vor zehn Jahren, am 29. Juli 1994, starb sie mit 84 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls.


 

1) Ihre Vorgängerinnen waren Marie Curie und deren Tochter Iréne Juliot-Curie, die 1911 und 1935 den Nobelpreis für Chemie verliehen bekamen.

2) 1928 war auch das Jahr, in dem der Chemiker Fleming in London per Zufall das Penicillin entdeckte

3) Die Gruppe wurde von dem Molekularbiologen John Desmond Bernal geleitet, der als Vorläufer von James Watson und Francis Crick, den Entdeckern der DNS, gilt.


 

Literatur:

Georgina Ferry: Dorothy Hodgkin – A life. London 1998

Ulla Fölsing: Nobel-Frauen. Naturwissenschaftlerinnen im Portät, München 2001. Vierte erweiterte Auflage

Luise Pusch: Berühmte Frauen. Band 1, Frankfurt am Main 2000


 


 

aus WeiberZeit Nr. 3/April 2004 I I www.weibernetz.de/weiberzeit.html
Erscheinungsweise: vierteljährlich

Herausgeberin
Weibernetz e.V. - Projekt „Politische Interessenvertretung behinderter Frauen“
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