Berühmte behinderte Frauen 

Barbara Thompson 

Berühmte Frauen mit Parkinson (Teil 1)

 

von Anneliese Mayer


 

Bei meiner Suche nach weiblichen Berühmtheiten mit einer Behinderung bin ich auf vier Frauen mit dem Parkinson-Symptom gestoßen. Alle vier sind sehr unterschiedlich mit dieser im Alter von etwa 50 auftretenden neurologischen Erkrankung umgegangen. Die Älteste mir bekannte Frau ist die SPD-Politikerin und Gewerkschafterin Toni Sender, 1888 in Wiesbaden-Biebrich geboren. Chronologisch folgt die 1904 geborene amerikanische Fotografin Margarete Bourke-White. Am 13. Juli diesen Jahres feierte die deutsche Physikerin und Schriftstellerin Helga Königsdorf ihren 70. Geburtstag. Bei ihr zeigten sich ungewöhnlich früh die ersten Symptome von Parkinson. Und schließlich als „Jüngste“ die Saxophonistin und Komponistin Barbara Thompson. Mit ihr möchte ich meine Vorstellung der Frauen mit Parkinson beginnen und in weiteren Beiträgen die anderen porträtieren.


Barbara Thompson habe ich zum ersten Mal im August 1992 live erlebt. Die gertenschlanke Frau mit den langen blonden Haaren spielte ihre Solostücke auf Saxophon, Klarinette und kleiner Flöte vor einem Publikum, für das stilvolle Rock- und Jazzmusik gleichbedeutend ist mit Barbara Thompson oder der Formation „United Jazz and Rock Ensemble“, deren fester Bestandteil sie seit den siebziger Jahren war. Eine Künstlerin, die es versteht, sich dem Publikum nahe zu bringen und es mitzureißen.


Im April 2008 ist Barbara Thompson wieder auf Tournee in Deutschland und ich erlebe sie dieses Mal mit ihrer Band „Paraphernalia“. Vom äußeren Eindruck scheint sich nichts an dieser Frau verändert zu haben. Das gleiche „Outfit“ wie vor sechzehn Jahren: Lange dünne blonde Haare, enganliegende Jeans und lässiges T-Shirt oder Hemd. Bei genauerem Hinsehen fallen natürlich die Falten im Gesicht auf, aber dafür muss man schon ganz nahe an der Bühne sitzen. Auffallend ist auch ihre Ruhelosigkeit. Sie kann nicht auf der Stelle stehen bleiben - ist immer in Bewegung. Viele mögen dies als „Mitgehen“ mit der Musik deuten - hat ihre Mischung aus Jazz und Rock doch etwas sehr Rhythmisches. Aber da sind auch die kleinen Patzer während ihres Einsatzes, die hervorragend von den übrigen Mitgliedern der Band aufgefangen und ins Gesamtspiel integriert werden. Ein Team, das völlig aufeinander eingespielt zu sein scheint.


Seit Mitte der neunziger Jahre hat sich im Leben der Musikerin eine einschneidende Veränderung vollzogen. Barbara Thompson weiß seit 1997, dass sie Parkinson hat. Diese Diagnose hat sie zuerst „wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen“. Außer ihren Mann Jon Hiseman hat sie anfangs niemanden eingeweiht. Mit der Zeit wird ihr jedoch bewusst, dass Verschweigen auf die Dauer keine Lösung ist. Und sie lernt, offensiv mit ihrem „Leiden“ umzugehen, wie mit einem unwillkommenen Gast, dem man es so bequem wie möglich macht, damit er weniger Schwierigkeiten bereitet. („I decided earlier on that the only way to cope it was not to make it the main point of my life, but treat it as an unwelcome visitor, whom if you make comfortable, made less demands to you.“). Die Parkinson-Erkrankung will sie nicht zum Mittelpunkt ihres Lebens machen. Die Hauptsache in ihrem Leben ist die Musik und soll es auch bleiben.


Am 27. Juli 1944 wird Barbara Thompson in der englischen Universitätsstadt Oxford geboren. Die künstlerische Ader liegt ihr im Blut. Ihr Großvater väterlicherseits hatte sich als Pianist einen Namen gemacht, und die Großmutter mütterlicherseits war eine angesehene Cellistin. Die fünfjährige Barbara spielt bereits hervorragend Blockflöte, spielt in der Grundschule im Schulorchester und lernt problemlos Notenlesen. Der Musikunterricht in der Schule genügt bald nicht mehr und sie bekommt Privatunterricht. Als 13-jährige hat sie ihre ersten öffentlichen Auftritte mit dem London Schools Symphony Orchestra.


Ihr Studium beginnt sie am Royal College of Music in London an den Instrumenten Flöte, Klarinette und Klavier. Klassische Komposition gehört ebenfalls zu ihren Studienfächern. Im Laufe der Zeit wird sie immer mehr vom Jazz und Musikern wie Duke Ellington beeinflusst. Ihr favorisiertes Instrument wird das Saxophon. 1967 heiratet Barbara Thompson den gleichaltrigen Schlagzeuger Jon Hiseman, den sie drei Jahre zuvor bei einer Zusammenkunft junger Musiker kennen gelernt hat. Sie arbeitet zunächst als Studiomusikerin bei dessen Band „Colosseum“. Ihre beiden Kinder Marcus und Anna werden 1972 und 1975 geboren. Mit einer Statistenrolle begnügt sich Barbara Thompson jedoch auf Dauer nicht. So gründet sie 1977 ihre eigene Band „Barbara Thompson’s Paraphernalia“ mit Jon Hiseman als Drummer, später kommt noch die Bigband „Moving Parts“ dazu. Zudem gibt es noch seit 1975 die Formation „The United Jazz und Rock Ensemble“, die aus herausragenden englischen und deutschen Musikern (Wolfgang Dauner, Albert Mangelsdorff, etc) besteht und fast dreißig Jahre existiert. Barbara Thomson und ihr Mann gehören dazu.


Zahlreiche Musikstücke für ihre Bands, aber auch für ihre Soloauftritte stammen von Barbara Thompson selbst. Zusammen mit Andrew Lloyd Webber komponiert sie die Melodien für die Musicals „Cats“ und „Starlight Express“. Immer häufiger wird sie auch für Film- und Fernsehmusiken angefragt.


Einige Zeit nach Ausbruch der Parkinson-Krankheit stellt Barbara Thompson fest, dass „das Spielen extrem schwierig für mich“ ist. 2001 kündigt sie eine Abschiedstournee an, und 2002 ist sie noch dabei, als das „United Jazz and Rock Ensemble“ seine letzten Auftritte hat. „Ich begann dann meine neue Karriere als Vollzeit-Komponistin und schrieb einen Choral für 100 Stimmen, drei Konzerte für Solisten mit Streicherensembles, für ein Kammerorchester, und drei Saxophon-Quartette.“


Aber sie ist einfach nicht die Frau, die ohne die Bühne und ohne das Saxophon leben kann. Nach zwei-jähriger Pause ist sie wieder dabei, als in der Band ihres Mannes „Colosseum“ Dick Heckstall-Smith, der Saxophonist, wegen Krankheit bzw. Tod ausfällt. Seitdem hat die Vollblut-Musikerin wieder ihre regelmäßigen Auftritte - mit der eigenen Band oder mit „Colosseum“. Ihr aktuelles Programm trägt bezeichnenderweise den Titel: „Never Say Goodbye“.


Wie bekommt sie es hin, die Parkinson’sche Krankheit unter Kontrolle zu halten und die körperlichen Strapazen bei ihrer Arbeit zu überstehen? Barbara Thompson vertraut auf die moderne Medizin. Sie nimmt „ein Arzneimittel, das Dopamin enthält: jenes chemikalische Element im Gehirn, das die Muskelbewegungen koordiniert“ und das sich bei Parkinson-Erkrankten abbaut. Sie sieht jedoch auch die Gefahr: “Natürlich ist das eine Art Pakt mit dem Teufel, denn es war nie meine Art, derart harte Medikamente einzunehmen, und am Ende könnten sich die Nebenwirkungen womöglich als ebenso schwierig für mein Leben erweisen wie die Parkinson’sche Krankheit selbst.“ 


Quellen: www.wikipedia.de Barbara Thompson
www.handmadeconcerts.de Barbara Thompson
www.temple-music-com Barbara Thompson - My affairs with Parkinson’s

 


 


 

aus WeiberZeit Nr. 15/September 2008 I www.weibernetz.de/weiberzeit.html
Erscheinungsweise: vierteljährlich

Herausgeberin
Weibernetz e.V. - Projekt „Politische Interessenvertretung behinderter Frauen“
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